Dienstag, 15. Januar 2013

Infamie



Ausschnitt aus dem Kapitel "Passive Vergewaltigung" aus dem Buch Heiraten ist unmoralisch von Ester Vilar:

PASSIVE VERGEWALTIGUNG: Wenn der Erwählte sich störrisch zeigt

Dass in den wohlhabenden Ländern des Westens mehr als die Hälfte der Eheschließungen über eine Schwangerschaft zustande kommt, ist für den Statistiker leicht festzustellen: Er vergleicht die Heiratsdaten der Eltern mit den Geburtsdaten ihrer Kinder (und rechnet gewissenhaft die Frühgeburten heraus). Schwerer lässt sich ergründen, wie viele dieser Schwangerschaften sich harmonisch aus dem Vorleben der Partner ergeben (die Ehe war längst beschlossen, man hatte noch auf einen konkreten Anlass gewartet, und dieser war dann das Kind) und wie vielen der Tatbestand der Nötigung zugrunde liegt. Niemand wird ausgerechnet dieses Geheimnis – das ja neben der eigenen Intimsphäre auch die seines Kindes berührt – einer Statistik anvertrauen. Da aber jeder von uns gleich mehrere solcher Bündnisse zwischen Opfer und Henker kennt, darf man davon ausgehen, dass diese einigermaßen häufig sind.
Außerdem geht gerade hier die Rechnung zuweilen nicht ganz auf. Und darum wird diese den Kandidaten im Erfolgsfall zum Vertragsabschluss motivierende Methoden von Frauen auch nur als Ultima Ration angewendet. Bei der Kalkulation männlicher Reaktionen gibt es wie bei jeder anderen Fehlerquoten: Da muss ein bestimmter Mann zwar gegen seinen Willen Vater werden und Kind und Kindesmutter seinem Einkommen entsprechend versorgen, doch das, was man sich eigentlich von ihm erhoffe, den Gang zu Standesamt, hat er sowohl während der Schwangerschaft als auch nach der Geburt seines Kindes ungerührt verweigert. Vielleicht wollen alle Männer das gleiche, aber gleich sind sie nicht.
Dass der Störrische auch dafür einen Preis zahlen wird, ist unter den gegebenen Umständen ein spärlicher Trost. Und auch die Tatsache, dass dieser Preis die Serie männlicher Eigentore in Sachen Heirat auf die absurdeste Weise abrundet, kann man kaum belächeln. Als Gesetzesmacher haben die Männer es sich nämlich selbst untersagt, mit einem Kind zu verkehren, dessen Mutter sie nicht geheiratet haben. Wenn die uneheliche Mutter es nicht will, hat der uneheliche Vater in den meisten westlichen Ländern auch heute noch kein Umgangsrecht mit seinem Kind. Selbst wenn die Mutter des Kindes stirbt, kann er das Sorgerecht nicht erstreiten. Es kommt dann vielleicht zu Menschen, die er verabscheut oder nicht einmal kennt, aber ein Recht, es zu sehen, hat er auch jetzt noch Auch diese Verfügung stammt aus der Blütezeit des sogenannten Patriarchats, und man darf wohl sagen, dass die Justiz das Verbrechen noch nie so effizient gefördert hat.
Und dieses Verbrechen ist, wie gesagt, perfekt. Perfekt, weil es in keinem Gesetzbuch steht, und perfekt, weil man es auch dann nicht verfolgen könnte, wenn es offiziell als Straftat gälte: Es handelt sich um die vorsätzliche, ohne seine Zustimmung und aus niederen Beweggründen erfolgte „Schwängerung“ eines Mannes. da in einem solchen Fall dem Opfer, wenn auch indirekt, sexuelle Gewalt angetan wurde, sollte man die Tat konsequenterweise als sexuelle Vergewaltigung des Mannes bezeichnen. Sie ist ein ebenso brutales und verabscheuungswürdiges Verbrechen wie die Vergewaltigung der Frau, und wahrscheinlich ist sie häufiger.
Um die sexuelle Vergewaltigung der Frau von der des Mannes zu unterscheiden, sollte man von aktiver und passiver Vergewaltigung sprechen. Denn die beiden Vergehen sind vor allem im Tathergang voneinander verschieden und ließen sich aus juristischer Sicht vielleicht so definieren:
Aktive Vergewaltigung ist der erzwungene Sexualverkehr mit eine Person des weiblichen (seltener auch des eigenen) Geschlechts, der zu Ziel hat, den eigenen Sexualtrieb zu befriedigen. Die auf das Oper ausgeübte Gewalt fällt hier mit dem Zeitpunkt der Tat zusammen (wenn man einmal von den Fällen absieht, in denen eine Vergewaltigung zur Schwangerschaft führt).
Passive Vergewaltigung ist der nicht erzwungene Sexualverkehr mit eine Person des männlichen Geschlechts, der zum Ziel hat, materielle oder immaterielle Vorteile zu erlangen. Ein materieller Vorteil wäre zum Beispiel Versorgung, ein immaterieller die durch die Existenz eines Kinder erzwungene Lebensgemeinschaft mit der Täterin. Die auf ihn ausgeübte Gewalt empfindet der Vergewaltigte erst, wenn die Tat längst vorüber ist.
Wenn man die beiden kriminellen Handlungen von ihren Konsequenzen her vergleicht, fallen folgende Unterschiede auf:
Während das Opfer einer männlichen Vergewaltigung in keinem fortschrittlichen Land gezwungen wird, die Frucht des Verbrechens auszutragen, kann dem Opfer einer weiblichen Vergewaltigung nicht gleiches gestattet werden: Der Mann muss das Kind bekommen, das hier die Folge der vorsätzlich an ihm verübten Gewalttat ist.
Während man den männlichen Vergewaltiger für Jahre hinter Gitter bringt und seine Reputation – zu Recht – für immer ruiniert, könnte man für den weiblichen Vergewaltiger solches nicht einmal in Betracht ziehen: Wer sollte die Kinder aufziehen?
Während man vom Opfer einer männlichen Vergewaltigung niemals verlangen wird, mit dem Täter später gesellschaftlich zu verkehren, ist ein an seinen Kindern interessierter Mann dazu angehalten, mit der Täterin ein Leben lang freundschaftlichen Kontakt zu pflegen, weil er andernfalls sein Kind ja nicht einmal zu sehen bekäme.
Während das Opfer einer männlichen Vergewaltigung niemals gezwungen wird, später für den Unterhalt des Täters aufzukommen – nach Möglichkeit wird es für die Tat entschädigt – muß das Opfer einer weiblichen Vergewaltigung gerade dieses tun. Es ist dem vergewaltigten Mann sogar anzuraten, die Täterin zu ehelichen, weil er nur so das Recht erhält, mit der Frucht dieses Verbrechens, die immerhin sein Sohn oder seine Tochter sein wird, als Vater zu verkehren.
Während die Opfer der Vergewaltigung durch den Mann in der Regel jung sind und der Unterschicht entstammen – hier hat man die wenigsten Mittel, sich zu schützen -, trifft die Vergewaltigung durch die Frau Männer jeder Altersgruppe, wobei hier die Opfer jedoch vorzugsweise den mittleren und gehobenen Kreisen angehören. Zeugungsfähige Männer mit besonders hohem Einkommen oder Sozialprestige werden auch im fortgeschrittenen Alter noch zu Opfern. Statistisch gesehen sind also wohlhabende Frauen und arme Männer am wenigsten gefährdet.
Na und, dann zahlt er eben, lautet hier ein gängiger Kommentar: Er hat ja auch sein Vergnügen gehabt, oder? Dem ist entgegenzuhalten, dass es zwar unwahrscheinlich, aber immerhin möglich ist, dass auch die Täterin am Tathergang ihre Freude hatte. Und dass heute kein ethisch denkender Mann und keine Feministin einer Frau zumuten würde, ein Kind auszutragen, für das sie sich nicht aus freien Stücken entschieden hat. Dies allein schon im Interesse des ungeborenen Kindes, für dessen Glück dies die denkbar schlechteste Voraussetzung wäre.
Außerdem ist ja gerade für sensible Männer hier nicht das Finanzielle ausschlaggebend. Die Folge des niemals gesühnten Verbrechens an seiner Person ist das Leben eines neuen Menschen – eines Menschen, der sein Kind ist und dies für immer bleiben wird -, doch dieser Akt der Schöpfung geschah ganz ohne seine Einwilligung!
Vielleicht wollte dieser Mann aus prinzipiellen Erwägungen keine Kinder. Vielleicht wollte er schon Kinder, aber nicht zu diesem Zeitpunkt: Er hat noch nichts erlebt, fühlt sich zu jung, um soviel Verantwortung zu tragen. Vielleicht sehnt er sich sogar nach Kindern, aber nicht von der Täterin. »Die Mutter seiner Kinder«, jahrelang hat er sie sich vorgestellt – und jetzt ist es die!
Ist ein schrecklicheres Gefühl der Ohnmacht vorstellbar als das eines auf so brutale Weise um seine Träume gebrachten Menschen? Ist eine gemeinere Demütigung denkbar als diese unter dem Mantel der Zärtlichkeit vollbrachte Infamie? Gibt es einen Alptraum, der, wie dieser, ein Leben lang dauert?

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